Der Tod hat unser ganzes Leben umgekrempelt und Manches hat sich sogar zum Positiven entwickelt. Ich spüre ein schlechtes Gewissen, wenn ich das sage. Aber ich stelle mir vor, dass alles Gute, was uns seitdem passiert, kleine Trostpflaster aus dem Universum sind.
In meine Träumen schreie ich ihn öfter an. Dafür, dass er jetzt für immer tot ist und seine Kinder nicht mehr begleiten kann. Was er sich bitte dabei gedacht hat. Dass ich jetzt alles, einfach alles alleine machen muss.
Vereinzelt joggen Menschen an mir vorbei. Mich beschleicht der Gedanke, dass jetzt einer weniger hier läuft. Und dass das außer mir niemand weiß und niemand merkt. Dass es im Kontext der großen weiten Welt völlig irrelevant ist, ob hier einer mehr oder weniger läuft. Und dass es im Kontext unserer kleinen, bisher glücklichen Welt eine riesengroße Katastrophe ist.
Ich verstehe, dass ich den Tod nach wie vor schrecklich finden und ihn gleichzeitig Teil unseres Alltags werden lassen kann. Er ist ja sowieso ständig anwesend. Dann können wir vielleicht auch eine Art Willkommenskultur für ihn schaffen. Und wenn es in Form einer Bude ist, fühlt sich das eigentlich ganz gut an.
"Das ist ja zum Glück keine tiefe Wunde", sagt der Arzt und desinfiziert die Stirn meiner Tochter. "Alles halb so wild." Wenn der wüsste, dass ich gerade kurz vor einem emotionalen Zusammenbruch stehe. Am Liebsten würde ich los schreien, dass erst vor wenigen Monaten der Vater meiner Kinder gestorben ist und ich seit dem kein Vertrauen mehr ins Leben habe und es sich für mich gerade so anfühlt als könne meine Tochter vielleicht doch an dieser Platzwunde verbluten.
"Wie fandest du den Tag heute?" frage ich meine Tochter beim Zubettgehen. "Schön" seufzt sie. Und auch ich muss zugeben, dass da sehr viele liebevolle Bilder von Glitzer und Seifenblasen in meinem Kopf sind, die dem verstorbenen Papa bestimmt gefallen hätten.
Gut, dass ich die Fingermalfarbe mitgebracht habe zu unserer Abschiednahme. Denn die Eddings unserer Bestatter:innen sind leider ausgetrocknet. Scheint schon länger her zu sein, dass eine Familie einen Sarg bemalt hat. Alle scheinen darauf zu warten, dass ich den ersten Pinselstrich mache.
„Im Moment ist die korrekte Antwort auf die Frage, wo Papa jetzt ist, „immer noch im Krankenhaus“ erklärt der Bestatter.
Am Ende des Telefonats sagt er noch, dass mein Kind sich ein Leben lang an dieses Gespräch erinnern wird. "Bloß kein Druck" denke ich.
"Wir haben aber doch gerade erst das Baby bekommen", wende ich mich an die junge Polizistin. Ich habe die verzweifelte Hoffnung, sie möge daraufhin das soeben Gesagte widerrufen. Sie macht es nicht. Sie schaut mich an und ich sehe Tränen in ihren Augen.
"Heißen wir jetzt eigentlich Familie Trauerkloß?" fragt mich meine fünfjährige Tochter beim Frühstück. Ich weiß sofort, worauf sie anspielt. Noch bis vor wenigen Wochen hatten wir uns selbst "Familie Glückspilz" getauft.