"Die Beiden haben sich gerne mit Glitzersteinchen geschmückt. Es war ein Papa-Tochter-Ritual. Bitte helft heute mit, den Sarg zum Glitzern zu bringen!" Mit diesen Worten begrüßt unsere Bestatterin die Gäst*innen der Trauerfeier am Eingang der Kapelle.
Meine große Tochter ist bereits ganz vertieft in ihre Arbeit. Sie sitzt in Seelenruhe neben dem Sarg und heißt dort die Ankommenden willkommen, indem sie ihnen Tipps gibt, wie und an welcher Stelle sie den Sarg schmücken können. Sie scheint sich wohl an ihrem Platz zu fühlen. Ab und zu hält sie inne, schaut in den sich stetig füllenden Saal und pustet ein paar Seifenblasen in die Luft. Der Sarg wird von Minute zu Minute glamouröser. Die Idee der Bestatterin, die Trauerfeier mit einem Ritual zu beginnen, bei dem alle aktiv werden können und sich gleichzeitig zum Sarg nach vorne trauen, war goldrichtig für uns. Als die Kapelle voll besetzt ist, erklingt leise Begrüßungsmusik und das erste Lied auf unserer Playlist wird abgespielt, Die Musik hallt und erfüllt den Raum. Vor uns ein buntes Blumenmeer rund um einen glitzernden Sarg, von dessen Seite meine fünfjährige Tochter nicht vorhat zu weichen. Hinter ihr ein großes Bild ihres Papas. Ein Schnappschuss, auf dem er Kaffee trinkt. Es ist ein wunderschöner und tieftrauriger Anblick.
Das Baby auf meinem Schoß schaut neugierig in die Runde. Als die Reden, die von der Bestatterin, einem engen Freund und einem Kollegen gehalten werden, eine gewisse Länge annehmen, wird meine große Tochter unruhig. Mit einer Freundin zusammen verlässt sie die Trauerhalle und sammelt auf dem Friedhof ein paar Blumen. Als das Lied gespielt wird, das ich ausgesucht habe, wird mein Körper durch mein geräuschloses Weinen durchgeschüttelt. Ich spüre eine Hand auf meiner Schulter. Meine Schwester sitzt direkt hinter mir. Nun wird unsere liebevoll zusammen gestellte Videocollage gezeigt. Unter den Anwesenden wechselt sich Lachen und Weinen ab. Als das letzte Lied abgespielt wird, nehme ich wie durch einen Nebel war, dass der Sarg herausgetragen wird. Die Bestatterin schiebt mich in Richtung der Sargträger: "jemand muss vorausgehen!"
Ich führe nun also den Trauerzug an. Die Glocken läuten und draußen ist das schönste Wetter. Meine Tochter gesellt sich wieder zu uns und läuft plappernd neben mir her. An der sonnendurchflutenden Grabstelle angekommen, verabschieden sich alle nacheinander am eingelassenen Sarg. Manche Gäst*innen weinen, manche beten, manche machen es kurz. Mich berührt, dass sich spontan Zweier-Teams zusammenfinden, die gemeinsam zum Grab vortreten um einen letzten Gruß zu sprechen. Alle werfen bunte Blütenblätter in das Grab. Als am Ende noch Blüten übrig sind, ermutigt die Bestatterin meine Tochter, die Blüten mit beiden Händen in die Luft zu werfen und sie ins Grab rieseln zu lassen. Ich bekomme derweil Kondolenzwünsche und Geschenke, mit denen ich gar nicht gerechnet habe. Einige zeigen mir noch letzte Whatsapp Nachrichten meines Freundes auf ihren Handys, die erneut zu Tränen rühren. Ich lade spontan mehr Leute als geplant zu einem Beisammensein im Anschluss ein. Es scheint mir, als empfinden die meisten von uns den restlichen Tag als die Ruhe nach dem Sturm. Ich bekomme starke Kopfschmerzen und merke, wie angespannt ich die ganze Zeit war.
"Wie fandest du den Tag heute?" frage ich meine Tochter beim Zubettgehen. "Schön" seufzt sie. Und auch ich muss zugeben, dass da sehr viele liebevolle Bilder von Glitzer und Seifenblasen in meinem Kopf sind, die dem verstorbenen Papa bestimmt gefallen hätten.