Nicht eingeschlafen, nicht von uns gegangen, tot.

 

Ich hole tief Luft und schaue sie direkt an: "Der Papa ist leider gestorben." Meine fünfjährige Tochter schaut irritiert und fragt nach kurzem Schweigen: "Du meinst, DEIN Papa? Der Opa?" Ich schüttle traurig den Kopf. "Nein Schatz, DEIN Papa.“ Ich sehe die Fassungslosigkeit in ihrem Blick. "Warum denn?" - "Als er beim Sport war, hat sein Herz ganz plötzlich aufgehört zu schlagen.  Das ging so schnell, dass Papa von einem Moment auf den anderen hingefallen ist. Dann kam der Rettungswagen und Papa ist ins Krankenhaus gekommen, aber leider konnte sein Herz nicht mehr zum Schlagen gebracht werden. Darum ist er gestorben." Sie schaut bestürzt: "Aber warum hat das Herz denn aufgehört zu schlagen?" - "Ich weiß es nicht genau. Vielleicht war sein Herz verletzt, aber davon wusste leider niemand etwas. Er selbst auch nicht." Sie guckt zu Boden. "Weißt Du, was das bedeutet, dass er gestorben ist?" frage ich vorsichtig. "Ja…ich glaube schon."

Sie überlegt kurz und steht auf. "Wollen wir es jetzt meiner kleinen Schwester sagen?" Ich schlucke. "Magst Du es ihr sagen?" Sie nickt und rennt los. Als sie dem zweimonatigen Baby eins zu eins meine Worte weitergibt, kann ich meine Tränen nicht mehr aufhalten. Meine Kinder haben keinen Papa mehr. Oder anders: Der Papa, der sich so sehr auf ein Leben mit ihnen gefreut hatte, ist nicht mehr da.

 

Gepaart mit der tiefen Traurigkeit breitet sich in mir eine große Erleichterung aus. Erleichterung, weil ich das belastende Gespräch mit meiner großen Tochter hinter uns gebracht habe. Seit ich die Todesnachricht bekommen habe, gibt es für mich kein wichtigeres Thema, als die Frage, wie ich ihr auf bestmögliche Art beibringen kann, was passiert ist. Dazu hatte ich bereits noch am Abend zuvor eine Freundin kontaktiert, deren Partnerin vor einigen Jahren gestorben ist und von der ich weiß, dass sie sich ein bisschen auskennt. Auskennt mit einem Thema, das keine*r von uns aufm Schirm hat, bis es uns nicht selbst betrifft. Sie schickte mir die Nummer eines Bestatters, der sich insbesondere mit Kindertrauer beschäftigt. Ich könne ihn rund um die Uhr anrufen sagt sie und so zögere ich nicht lange und wecke ihn in den frühen Morgenstunden.

Das Gespräch mit ihm ist Gold wert, denn er erklärt mir ohne Umschweife, wie ich mit meinem Kind sprechen soll. Ich solle nicht um den heißen Brei herumreden, die Dinge beim Namen nennen und keinesfalls blumige Umschreibungen nutzen wie "Papa ist von uns gegangen", "eingeschlafen" oder "jetzt im Himmel". Erwachsene nutzen diese Worte gern in der vermeintlichen Annahme, es ihren Kindern damit leichter zu machen. Was jedoch passieren kann, ist, dass Kinder daraus Ängste vor dem Einschlafen entwickeln (Einschlafen = Sterben) oder sich mit Fragen quälen, wie es sein kann, dass Papa gleichzeitig in einem Sarg liegt und im Himmel ist. Mir hilft der Gedanke sehr, dass wir Kindern zutrauen dürfen, sich selbst Gedanken zu machen und ihnen ermöglichen sollten, eigene Vorstellungen vom Tod zu entwickeln. Indem wir klare Worte finden und sie nicht mit Informationen überfordern, nehmen wir sie ernst und geben ihnen die Chance zu schauen, ob sie noch mehr erfahren möchten oder nicht. „Im Moment ist die korrekte Antwort auf die Frage, wo Papa jetzt ist, „immer noch im Krankenhaus“ erklärt der Bestatter. Falls meine Tochter spontan den Wunsch äußert, ihren Papa nochmal sehen zu wollen, solle ich dies respektieren und mit ihr dorthin fahren. Für den Prozess der Trauer ist die Abschiednahme von dem Verstorbenen ein wichtiger Schritt. So begreift unser Bewusstsein umfänglicher, dass es wirklich passiert ist. Indem wir die verstorbene Person sehen und berühren, begreifen wir im wahrsten Sinne des Wortes, dass sie nicht mehr lebt. Der Bestatter bestärkt mich darin, meiner Tochter in dieser Ausnahmesituation soviel Alltag und Struktur wie möglich anzubieten. Wenn sie möchte, könnte es ihr gut tun, schon am nächsten Tag wieder in die Kita zu gehen. Dazu sollte aber vorher ein Gespräch mit den Erziehenden stattfinden, bei dem er mich ebenfalls unterstützen könne.

Am Ende des Telefonats sagt der Bestatter noch, dass mein Kind sich ein Leben lang an dieses Gespräch erinnern wird. "Bloß kein Druck" denke ich.